Könnte der Titel “Selbstporträt mit Flusspferd” nicht auch der eines barocken Ölgemäldes sein? Ein Stillleben aus dem 17. Jahrhundert. Darauf ein junger Mann, Anfang 20, an seiner Seite ein graues glänzendes Flusspferd. Sein Name (also der, des Zweibeiners) ist Julian und er studiert (Surprise, Surprise) Veterinärmedizin. Wie er zu dem Flusspferd kam? Erstens, es ist nicht seines. Er kümmert sich nur einen Sommer lang darum, als Ferialjob. Professor Beham hat es in seinem Garten untergebracht, bis es sein endgültiges zuhause im Zoo Basel finden wird. Bis dahin ahnen die wenigsten, die an dem Haus kurz außerhalb Wiens, in der Vorstadt, vorbeigehen, dass sich hinter der Hecke ein waschechtes Flusspferd im Matsch aalt.
Gemächlich und langsam, so wie auch Julian sein Leben führt. Im Sommer ist in Wien sowieso nicht viel los und er lässt sich – kurz nach der Trennung von seiner Freundin Judith – auf der Wiener Sommerwelle treiben. Alles ist nonchalant, locker, unverbindlich. Sein ganzes Leben scheint unverbindlich zu sein. Ein einziges Open End. Er reflektiert viel, denkt nach über das, sein Leben. Hört aufmerksam den Nachrichten zu und will nicht so recht verstehen, wie die Welt tickt. Geigers Roman wird als Coming of Age Roman gehandelt. Allerdings könnten Julians Gedanken auch die, eines 40-Jährigen sein. Wann hört ein sinnierender Mensch schon auf, über sein Dasein zu philosophieren?
Die Nuancen von Liebe und Freiheit
Wie es so kommt, verliebt er sich nach einigen Wochen Flusspferdpflege schließlich in die Tochter des Professors, Aiko. Sie lebt die meiste Zeit in Frankreich, arbeitet dort als Journalistin und ist auch sonst ein Freigeist. Sie ist auch um einige Jahre älter als Julian, was sie womöglich für den sympathischen Jungspund noch ein bisschen spannender macht. Spannungsgeladen ist das Verhältnis zwischen den beiden sowieso, für Aiko eine kleine Sommeraffäre, für Julian viel mehr.
Der Wirbelwind in Cowboystiefel bleibt wild und zieht weiter, obwohl sie vielleicht mehr von Julian mitnimmt, als sie zu diesem Zeitpunkt denkt. Die Enden bleiben so offen wie sie einem Anfang 20-Jährigen zustehen. Der Leser erfährt nur auf den letzten Seiten, dass aus ihm wirklich ein Tierarzt geworden ist. Was Julian liebestechnisch geblüht hat, verrät Geiger nicht.
Adoleszenter Sommer
Der Autor zeichnet nicht nur ein Bild eines adoleszenten Sommers, sondern porträtiert den Zeitgeist einer jungen, unsicheren Gesellschaft. Das tut er in Wien, einer Stadt, die endlos viele Türen zu neuen Universen birgt, vor allem für Menschen wie Julian. Das kann zugleich Fluch und Segen sein, gerade dann, wenn man wie Geigers Protagonist noch nicht so recht weiß, wohin mit sich.
Und man kommt als Leser nicht so leicht herum, sich gemeinsam mit Julian den substantiellen Fragen, den bunten Nuancen des eigenen Lebens zu widmen. Ein gelungenes Porträt eines jungen Mannes, samt Flusspferd, das Geiger hier in blühenderSprache gemalt hat.