Ein sinnierender Mensch, bewegt sich gemächlich durch die norwegische Einöde, ohne je wirklich das Steuer in die Hand zu nehmen. Dass das tatsächlich eine Geschichte wert ist, zeigt Dag Solstad in seinem Roman “T. Singer”.
Singer scheint kein Problem damit zu haben, sich treiben zu lassen. Das Leben passiert ihm einfach. Wie ein Surfer auf seinem Brett, wartend er auf die nächste Welle.
Auf was er tatsächlich wartet, das ist weder dem Lesenden noch dem Protagonisten wirklich klar. Wartet er auf einen sinnvollen Job? Auf die große Liebe? Wartet er überhaupt auf ein großes Gefühl, oder liegt es in seinem Wesen alles hinzunehmen, ohne jede Gefühlsregung? Aber trotz seines vor-sich-hin-lebens – oder vielleicht gerade deswegen – ist Singer ein interessanter Mann.
“Ja, so vergingen die Tage in Notodden. Er lebte ein einfaches, geordnetes Leben. Er erkundete die Statd und legte sich neue Routinen zu. Legte sich auf ein bestimmtes Bistro fest, wo er jeden Tag aß, legte sich auf einen Weg fest, den er zur Arbeit hin- und zurückgehen wollte, und abonnierte die Lokalzeitung Teledolen, obwohl er sich damit hätte begnügen können, sie bei der Arbeit durchzusehen (…)”
– Dag Solstad ~ T. Singer
Unerwartet irrational
Dag Solstad lässt den Leser filterfrei am Leben seines schweigsamen Helden teilhaben. Singers Gedanken kreisen immer wieder um die ersten Sätze eines Buches, das er nie geschrieben hat und wohl nie schreiben wird. Er gibt sich langen Dialogen hin, in denen wir als Leser über Singer lernen, dass er sich in Gesprächen selten über seine eigenen Ansichten äußert. Der junge norwegische Bibliothekar ist genauso unscheinbar, wie seine Ziele oder Ambitionen im Leben. Das ergibt jedenfalls eine glaubhafte Romanfigur.
Warum Singer in seiner eigenen Ruhe doch irgendwie gefangen ist, löst der Autor nie auf. Es ist ein ruhiges Buch, ein langsames Geschehen und man bleibt als Leser durchwegs im Ungewissen, ob bis zur letzten Seite nie viel mehr geschehen wird, als das Fließen dieses unaufgeregten Lebens irgendwo in einem abgelegenen Winkel Norwegens. Ohne zu viel vorwegzunehmen – eine überraschende Entscheidung Singers wird zu späterer Stunde sein restliches Leben grundsätzlich prägen und so manch Leser stirnrunzelnd zurücklassen.
Fesselnde Tristesse
Faszinierend daran ist, dass der Leser den stillen Singer plötzlich von einer ganz anderen Seite sehen. Und es wirkt fast, als wären alle gleichzeitig schockiert – der Autor, der Leser und der Protagonist selbst. Dieser langsame, ruhige Mensch, aber doch fähig zu einem unerklärlichem Entschluss. Oder war es endlich ein Ereignis, das er selbst bestimmen wollte?
Das Buch ist in seiner Ungereimtheit, der faszinierenden Figur T. Singers, von dem wir eigentlich nur wissen, dass wir nichts wissen, einzigartig.
Solstad traut sich seinen Plot fließen zu lassen, ihn nicht vollzustopfen mit erzwungenen Spitzen. Er lässt seinem Protagonisten viel Zeit und der Leser lebt mit Singer in der Abgeschiedenheit Notoddens. In der Tristesse der norwegischen Provinz und dem Versuch Singers ein Leben zu führen, das er sich scheinbar selbst nicht erklären kann. Für mich entspricht Solstads Werk meinen Vorstellungen skandinavischer Literatur – finster, melancholisch, kühl und gleichzeitig wahnsinnig fesselnd.