Mad about Mad Men

Eine Woche ist es jetzt her, dass Don Draper auf jedem meiner Bildschirme auftauchte. Sehr zur Belustigung meines Mannes. Während er seine Daumen-Hirn-Koordinations-Skills bei Call of Duty trainierte, habe ich in meinem eigenen Covid-Pandemie-Wahnsinn alle Staffeln von Mad Men – jede einzelne der 92 (!) Episoden – innerhalb von drei Wochen gebinget. Unter dem Vorwand, “ich schaue mir das zwecks Charakterisierung an”. Was ja auch meiner Intention entsprach. Jedenfalls bis mich die Madness der 60er Werbebranche komplett vernaschte.

Kein Wunder, denn die Serie gilt als eine der populärsten TV-Serien in den USA und gewann dementsprechend einige der begehrtesten Preise wie Golden Globes, BAFTA Awards oder Emmys, darunter in der Kategorie “Outstanding Writing for a Drama Series“. Dieses hervorragende Schreiben floss aus der Feder von niemand geringerem als Matthew Weiner, seines Zeichens einer der Autoren der weltberühmten Serie The Sopranos. Er ist das Mastermind hinter dem Konzept der Mad Men, das nach vielen Jahren vergeblicher Suche, schließlich von Lionsgate Television produziert und vom Sender AMC ausgestrahlt wurde.

Warum Mad Men von 2007 bis 2015, also ganze acht Jahre (!), an mir vorbeigegangen ist? Keine Ahnung. Weil ich zu der Zeit meine eigene Mad Men Phase erlebt habe? Vielleicht. Wie sagt man, besser spät als nie. Das fokussierte und konzentrierte Schauen dieser Serie hat mir tatsächlich viele interessante Twists in Sachen Plot und Charaktere gezeigt, die man für das eigene kreative Schreiben & Storytelling berücksichtigen kann. Vor allem Weiners Charakterisierung ist schwer in Ordnung. Jedes kleinste Detail kommt zur richtigen Zeit am richtigen Ort an – keine Sekunde zu früh. Damit gelingt ihm ein vollendeter Spannungsbogen in einer kolossalen Serie.

Warum also nicht ein paar Gedanken dazu hier teilen, immerhin geht es in dieser Rubrik um das Texten. Und Serien müssen schließlich auch getextet werden.

Also Mad: Peggy Olsen & Joan Harris

Zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam haben – Joan, die Femme Fatale, die sich für maximale Aufmerksamkeit der männlichen Kollegen in Schale wirft und Peggy, der stille, graue aber ambitionierte Underdog, der die Männerdomäne von der Seitenbank aus angreift. (“You are either a Jackie or Marilyn”) Beide nehmen über die gesamte Serie hinweg zentrale Positionen ein. Bei Joan hätte ich die Character-Arc allerdings (nicht wie bei Peggy) überhaupt nicht vorhersehen können. Denn Joan mausert sich über sieben Staffeln zum selbstständigen Powerhouse, ohne charakterlich viel einzubüßen. Fantastisch ihr dabei zuzusehen.

Margaret “Peggy” Olsen andererseits – ihre Entwicklung ging ziemlich rasch und war relativ vorhersehbar. Diagonal zu Don Draper, kommt ihr die Zeit in der sie lebt entgegen und beflügelt ihr Streben die Karriereleiter zu erklimmen, von der sie vorher jede Menge Männer schubsen muss. Authentisch kommt in Mad Men eben die gesellschaftliche Wandlung rüber; Wie Frauen von den 50er Jahren kommend, in denen sie das Bild der perfekten Hausfrau und Mutter begleiteten, hin in die 60er Jahre zogen. Zwar vielerorts noch in alten Mustern steckend, sich aber langsam andere Rollen erkämpfen. Der Kontrast zwischen Betty Draper und Peggy scheint hier übrigens heller als die Sonne.

Oh, DONNY BOY.

Okay, here it comes. Don fucking Draper. Protagonist und Mad Man der ersten Stunde. Held oder nicht, er eignet sich zweifellos als Hauptfigur. Verloren, dennoch mutig. Seine Trademarks sind ambivalent und nachvollziehbar. Das will man wahrscheinlich auch von Weiner erwarten, Stichwort Tony Soprano. Ich habe zu Don jedenfalls eine Art Hass-Liebe entwickelt. Mal sehe ich ihn, wie Peggy ihren Boss sieht – ein erfolgreicher Werbe-Mann, mit kreativen Einfällen, die jenen eines Künstlers gleichen und dem Auftreten eines charismatischen Staatsmannes. Wer will nicht sein wie er oder von ihm begehrt werden. Hier knistert die Spannung, denn eines haben Schwärmende mit Peggy gemeinsam – sie wollen seine Aufmerksamkeit. Um die wetteifern übrigens auch viele Männer, wobei ersteres in den meisten Fällen wegfällt. Obwohl das Thema Homosexualität auftaucht, bleibt es nämlich ein kleineres.

Gestörtes Familienbild

Als Zuseher:in erfährt man jedenfalls nur häppchenweise was Don zu diesem begnadeten Werbe- und Lebemann macht. Rückblicke aus seiner Kindheit, eine schwere natürlich, und seine Verlorenheit hinsichtlich Beziehungen und Familie. Spannend war für mich dabei auch die Dynamik zwischen ihm und seiner Tochter Sally, die immens viel über Don’s Schwächen preisgibt. Zu lieben ist für ihn eher mit Leidenschaft verbunden. Liebe zu seinen Kindern verspürt er wenig, er agiert wohl eher aus einem Verantwortungsgefühl und dem Versuch die Lehren aus seinem Elternhaus zu ziehen.

Vieles hat mich überrascht. Wenn man glaubt, sein Schema durchschaut zu haben, überrascht die Figur trotzdem genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Obgleich er mit einer seiner zahlreichen Affären einfach durchbrennen will oder plötzlich in einer Präsentation vor Industriekunden von seiner Kindheit im Bordell erzählt. Diese WTF-Momente sind sorgfältig ausgewählt. Wenn sie kommen, dann schlagen sie mit voller Wucht ein und man ist versucht, sich doch nochmal mit Don zu versöhnen, nachdem er mal wieder im Whiskeyrausch ein Telefon gegen die Wand geschmissen hat. Apropos – ja, es ist wahr, 80 Prozent der Zeit sieht man ihn rauchend oder trinkend. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit.

Storytelling

In Mad Men werden anhand einer zeitweise aufstrebenden und fallenden Werbeagentur und deren Betreiber:innen Geschichten aus einem turbulenten New York erzählt. Die Macher:innen der Erfolgsserie investieren genug Zeit in die verschiedenen Lebensrealitäten der Figuren einzutauchen. Man blicke auf die bildschöne Betty Draper. Anfangs in pastelligem Rosè und Blau in breiten, schwingenden Röcken gekleidet, immer anzutreffen am Herd oder ihre Kinder zur Schule fahrend. Don’s Affären stillschweigend hinnehmend, um das Bild der perfekten Familie aufrecht zu erhalten. Ihre Unzufriedenheit wird par excellence durch eine kuriose Nähe zu einem Nachbarsjungen deutlich. Betty wirkt selbst kindlich in ihrem verzweifelten Kampf um die perfekte Familie. Die wilden 60s kommen auch ihr entgegen, ein Aufbegehren wird laut, zeitlich authentisch zur größer werdenden Akzeptanz von Scheidungen. Damit bringt sie Don’s Kartenhaus natürlich gehörig in’s Wanken.

Wie das Privatleben das berufliche Standing beeinflusst, zeigt einer ganz deutlich: Roger Sterling, der charmante, wohlhabende Inhaber der zentralen Werbeagentur Sterling Cooper. Ein notorischer Womanizer der alten Schule. Auch er war verheiratet, trieb aber fröhlich seine außerehelichen Späßchen, ganz im Glanz der damaligen schimmernden Werbebranche. Akzeptiert wurde das mehr, als später seine Scheidung und neuerliche Heirat mit seiner blutjungen Sekretärin. Davon zeigten sich viele seiner Partner und Kunden not amused. Ein sensationelles Beispiel der gesellschaftlichen Ambivalenz. Es scheint fast so, als könnte niemand genau sagen, was nächstes Jahr gesellschaftlich akzeptiert wird und was nicht.

Charakterisierung

Die Charaktere sind durchwegs grandios. In feinstem Detail gezeichnet und von grandiosen Schauspieler:innen (Jon Hamm, Elisabeth Moss, January Jones, Christina Hendricks) zum Leben erweckt, führen sie durch diese prunkvolle Zeit. Als die Werbebranche wohl ihr höchstes Ansehen erlangte. Ich fiebere mit, wenn Peggy vor einem großen Pitch steht oder leide, wenn Lucky Strike sich von Sterling Cooper abwendet. Das Credo “Show, don’t tell”, das sich Schreiber:innen an die Wand schreiben, hat sich Weiner scheinbar unter die Haut gejagt. So sehe ich minutenlang zu, wenn Don mal wieder ohne Vorwarnung nach Kalifornien verschwindet. Er sitzt hinter dem Steuer, on the road, sein Blick entspannt, der scheint sogar durch die coolen Aviators. Ich bin dabei, wenn Peggy mitten in der Nacht wach wird, von ihren Gedanken, die sich immer wieder nur um das nächste Projekt drehen, das sie perfekt umsetzen will.

Es gäbe noch so viel zu sagen, so viele Momente und Szenen, die mich fesselten und an denen ich mir ein Beispiel nehmen will. Storytelling, das wird so oft verwendet. Wer es aber wirklich mit Haut und Haar verinnerlicht hat, das sind ohne Zweifel die old buddies Matthew Weiner, Don Draper & Peggy Olsen.

Mad Men wird derzeit übrigens auf Amazon Prime gestreamt. (Stand April 2021)

Bilder: Unsplash