Alter, Schwangerschaft, Beziehungskonventionen und die Bühne der Welt. Grill inszeniert die Geschichte einer 39-jährigen deutschen Mezzosopranistin, die in Wien lebt und am Höhepunkt ihrer Karriere schwanger wird. Wer der Vater ist, bleibt spannend, denn das weiß Iris Schiffer selbst nicht. Ein Gefühl dafür reicht ihr aus.
Grill erzählt aus der Erzählperspektive, bringt als Stilelement allerdings zwischendurch die Ich-Form ein. Das kann im Lesefluss durchaus verwirren. Als Leserin verlor ich auch hin und wieder das Zeitgefühl. Wochen vergingen, in denen die Protagonistin an Ihrer Opernkarriere feilte, ohne, dass es mir als Zeitdimension dieser Größenordnung bewusst gewesen wäre.
Solopranistin
Der Wildwuchs, das oft willkürlich erscheinende hin und her der Perspektiven (als Leserin tauche ich sogar in die Gedanken ihrer beiden Liebschaften) macht das Lesen einerseits spannender. Außerdem legt es eine zweite Schicht auf die Sichtweise der Sopranistin, gibt der Geschichte mehr Körper.
Der wächst übrigens auch bei Iris immer weiter, was sie keineswegs stört. Ihre kugelrunde Körpermitte scheint ihr mehr Stimmkraft zu geben, aber auch sich durchzusetzen, ihren Weg zu gehen, unbeeinflusst von den Männern, die sie als Partner an ihrer Seite hat, oder von gesellschaftlichen Normen.
Unsympathische Protagonistin, die fasziniert
In Cherubino wirft Grill grundsätzliche Fragen der Liebe und Moral auf. Wie viel Wahrheit, wie viel Vertrauen bin ich den Menschen die mich lieben schuldig? Und wenn ich Entscheidungen treffe, sie egoistisch treffe, wie äußert sich das in meiner unmittelbaren Umwelt? Ich muss gestehen, die Protagonistin war mir an vielen Stellen äußert unsympathisch. Sie lässt den Mann, der für sie da sein will, immer wieder hungernd zurück, nimmt ihn durch die Schwangerschaft nur wahr als der, der für das Kind zur Verfügung stehen wird.
Den, den sie wirklich liebt, kann sie nicht haben. Das hindert sie aber nicht an einer Affäre mit ihm – seine Frau, seine Kinder wissen davon freilich nichts. Bis auf wenige Situationen, in denen sie vor der Existenz seiner Familie nicht die Augen verschließen kann, scheint es sie nicht zu stören, dass ihre große Liebe seine “die Meinen” nicht für sie aufgeben wird. Alles was sie will, sind die Momente, die Nächte, die Zeiten in “der Gegend” die sie ungestört und ungesehen Haut an Haut miteinander verbringen können.
Wachsende Geheimnisse
In der Musik, in ihrer Arbeit, ist Iris in Hochform. Sie bekommt Rollen an der MET in New York, an der Wiener Staatsoper und spielt bei den Salzburger Festspielen. Privat sieht die Sache anders aus. Zu ihren engsten Freundinnen hat sie nur wenig Kontakt, behält sowohl die Affäre als auch ihre Schwangerschaft so lange es geht für sich. Sie liebt Geheimnisse. Sie kann gut für sich sein. Und doch sehnt sie sich nach der Aufmerksamkeit beider Männer, die sie umgarnen.
Cherubino stand auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2019.
Das Buch wirft Konventionen auf und obwohl ich persönlich keine Freundin von Iris Schiffer sein würde, komme ich nicht darum herum, sie zu bewundern. Für ihre Freiheit. Ihren starken Willen und das Vertrauen in sich selbst. Das Baby, das in ihr wächst besingt sie Tag für Tag und genießt jede Regung in ihrem Unterleib. Keine Frage – sie wird eine liebevolle, fürsorgliche Mutter sein und sich dabei selbst treu bleiben. Ein schöner Gedanke,