“On earth we are briefly gorgeous” ist der Originaltitel des gefeierten Debütromans des US-amerikanischen Literaten und Poeten Ocean Vuong. Sein Name, eine wohlklingende Metapher für seine Schreibkunst – tief, treibend, traurig. Vuong ist zuerst Poet und erst dann Romancier. Das lässt sich nicht nur an der Stilistik erkennen, sondern auch daran, wie er Tragik aufbereitet. Die Schwere der Themen mit denen der Protagonist “Little Dog” konfrontiert ist, erhält durch Vuong’s poetischen Zugang eine neue Dimension.
Man möchte sagen, dieses Buch ist nichts für schwache Nerven oder gar faule Lesegewohnheiten – Vuong lässt seinen Lesern keine Pause. Das Leben von Little Dog, wie er von seinen Lebensmüttern – seiner Mutter, seiner Großmutter und seiner Tante – genannt wird, erdrückend und düster. Nicht einmal eine aufflammende Liebesgeschichte zwischen ihm und dem Sohn eines Plantagenbesitzers bringt Leichtigkeit. Im Gegenteil – denn Demut bringt unausweichlich Schmerz.
Die Demut einer Kriegsgeneration
Seine Mutter Rose, eine Überlebende des Vietnam-Krieges, hat ihm Demut anerzogen. Aus Überzeugung lebt sie ihrem Sohn eine Service-Mentalität vor – eine Verbeugung vor den weißen US-Amerikanern – die sie wiederum von ihrer Mutter gelernt hat. Eine Lebensweise, die damals wohl überlebenswichtig war. Generell schwingt das Erbe des Krieges in jeder Zelle der vietnamesischen Frauen mit, dirigiert ihre Gewohnheiten. Sie scheinen in einer konstanten Unsicherheit zu leben, die sie zwischen Vergangenheit und Zukunft schweben lässt. Little Dog kann nicht anders, als zu versuchen sich seinen eigenen Platz zu schaffen. Das schwere Erbe immer auf dem Rücken, aber die Augen stets offen und beobachtend nach vorne gerichtet.
Aus jedem einzelnen der vielen schwergreifenden Themen die Vuong in seinen 256 Seiten kurzen Roman packt könnte man ein eigenes Buch machen. Krieg, Immigration, Generationskonflikte, Drogen, Klassengesellschaft, Homosexualität. Schlussendlich lebt Little Dog gar den berühmten “American Dream” – das Streben nach Glück, die Familienehre zu bewahren aber trotzdem seinen eigenen Weg zu finden. Das Buch ist als Brief an seine Mutter geschrieben, wohl aber in dem Wissen, dass sie ihn nie lesen wird, schlicht und ergreifend weil sie kein Englisch spricht. “Sorry”, das einzige Wort, das sie mehrmals am Tag zu ihren Kundinnen in einem Nagelstudio sagt aber kein einziges Mal zu ihrem Sohn.
Abseits der Geschichte muss man allen, die nicht an ein angeborenes Schreibtalent glauben, ganz eindringlich dieses Erstlingswerk empfehlen. Dieser Schriftsteller ist ohne jede Frage ein absolutes Ausnahmetalent. Einer, den man unbedingt im Auge behalten und sich auf alle weiteren Werke freuen sollte.
Ocean Vuong erhielt 2020 den renommierten American Book Award.